ROLAND PETER LITZENBURGER
* 31. Oktober 1917 + 24. Dezember 1987
Leben und Werk
Biographisches
1917 Geboren in Ludwigshafen am Rhein
1937 – 1938 Staatl. Fachhochschule für Holzbildhauer in Oberammergau
1939 Abitur in Kloster Ettal
1939 – 1945 Student der Architektur in Darmstadt, Gebirgsjäger, Lazarett, Studiensemester für Denkmalpflege im Elsaß
1945 – 1946 Maler und Bildhauer in Oberammergau
1947 Denkmalaufnahmen zum Wiederaufbau in Freiburg
1948 – 1950 Studium der Kunsterziehung und Staatsexamen in Stuttgart
1950 – 1951 Studium der Kunstgeschichte und Germanistik in Freiburg
1952 Lehramt an Gewerbeschule quittiert, selbstständig als Maler und Bildhauer
Lebt und arbeitet seitdem in Markdorf-Leimbach am Bodensee
1987 Verstorben am 24. Dezember
Werkauswahl
Der Blaue Christus (1950), Die Dreifaltigkeit (1952), Verkündigung (1957), Der INRI (1957), Das erste Emmausbild als Lithographie (1959), Der Graue Christus mit der Unterschrift: »Und Jesus antwortete kein Wort mehr« (1960), Der Schwarze Christus (1965), Der Tod am Kreuz (1967), Contergankreuz (1971), Hungerkreuz (1971), Der Schutzmantel-Christus (1971), Herbergsuche (1972), Mitgekreuzigt (1972), Mich dürstet nach reinem Wasser (1974), Christus der Narr (1978), Das Verglühen des geborenen Lebens im 20. Jahrhundert (1980)
Ausstellungen
Den Haag, Paris, Pittsburgh, Bad Schönbrunn, Luzern, Berlin, Bonndorf, Frankfurt, Freiburg, Friedrichshafen, Heidelberg, Ludwigshafen, Mainz, München-Freising, Rosenheim, Saulgau, Sigmaringen, Stuttgart, Trier
Literaturverzeichnis
- Schreijäck, Thomas (Hg.) (2009): Im Bild sein. Schöpfung und Mensch im Werk von Roland Peter Litzenburger. Ostfildern: Schwabenverlag.
- Oßwald, Bernhard (Hg.) (2007): Roland Peter Litzenburger. Alles Leben ist Bild. Ostfildern: Schwabenverlag.
- Litzenburger, Roland Peter (1987): Wer bin ich, wenn mich niemand anschaut. Schöpfung, Erde, Mensch. München: Kösel.
- Litzenburger, Roland Peter; Baur, Wolfgang (1985): Gottes schwierigstes Geschöpf. Der Mensch: sieben Texte aus der Genesis (1. Buch Mose). Stuttgart: Deutsche Bibelgesellschaft (Ökumenische Arbeitshefte für die Bibelwoche, 21).
- Bernos de Gasztold, Carmen (1982): Gebete aus der Arche. Unter Mitarbeit von Roland Peter Litzenburger. 13. Aufl., Mainz: Matthias-Grünewald-Verlag.
- Weinreb, Friedrich; Litzenburger, Roland Peter (1982): Friedrich Weinreb erzählt den Kreuzweg nach sieben Bildern von Roland Peter Litzenburger. München: Thauros-Verlag.
- Biemer, Günter (Hg.) (1981): Menschenbild und Gottesbild in der Bibel. Schauen, lernen und meditieren mit Bildern von Roland Peter Litzenburger. Stuttgart: Katholisches Bibelwerk.
- Bannach, Klaus (1979): Christus der Narr. Meditationen zu Bildern von Roland Peter Litzenburger. Stuttgart: Radius-Verlag (Radius-Bücher).
- Litzenburger, Roland Peter; Limbeck, Meinrad (1978): Dann ist das Reich Gottes bei euch. Bilder und Texte zum Matthäusevangelium. Stuttgart: Katholisches Bibelwerk.
- Limbeck, Meinrad; Litzenburger, Roland Peter (1977): Jesus fordert uns heraus. Texte aus dem Mattäus-Evangelium. Stuttgart: Deutsche Bibelstiftung (Arbeitshefte für Bibelwochen- und Gruppenarbeit, 13 1977/78).
- Litzenburger, Roland Peter (Hg.) (1977): Wachsender Katalog. 1917 - 1977 [Ausstellung im Augustiner-Museum der Stadt Freiburg vom 29. Okt. bis 20. Nov. 1977]. Freiburg i. Br.: Augustinermuseum.
- Biemer, Günter; Ruß, Rainer (Hg.) (1975): Wenn das Antlitz sich verbirgt. Christusbilder von Roland Peter Litzenburger. Stuttgart: Verlag Katholisches Bibelwerk.
- Litzenburger, Roland Peter; Ruß, Rainer (1973): Jona. Bilder und Texte. Stuttgart: Verlag Katholisches Bibelwerk GmbH.
- Waldstein-Wartenberg, Angelus; Litzenburger, Roland Peter (1973): Benedikt. Angebote eines Lebens in Bild und Betrachtung. Luzern, München: Rex-Verlag.
- Litzenburger, Roland Peter (Hg.) (1972): Roland Peter Litzenburger. Gutenberg-Museum der Stadt Mainz vom 25. Febr. - 9. April 1972. Mainz: Gutenberg-Museum.
- Litzenburger, Roland Peter; Abel, Eduard (1972): Überall ist Ninive. Das Buch Jona. Stuttgart: Württembergische Bibelanstalt (Arbeitshefte zur Bibelwoche und für Gruppenarbeit, 8, 1972/73).
- Kunstverein Ludwigshafen; Stadtmuseum Ludwigshafen (1967): Roland Peter Litzenburger. Stadtmuseum Ludwigshafen am Rhein 30. Nov. - 31. Dez. 1967. Ludwigshafen: Kunstverein.
Persönliche Zeugnisse
Bilder sind Spiegel. Spiegel, wie die spiegelglatte Fläche eines Teiches über seinem Grund, eines Sees über seinen Untiefen. Sie sind auch Spiegel des Betrachters - wie das Spieglein an der Wand.
Bilder sind Legenden, Gleichnisse, Parabeln, Märchen. Märchen, das sind wahrhafte Geschichten, voller Geheimnis und Überraschung. Geschichten, die Chiffren gleichen für Herkunft und Hinkunft. Und das ist ein für mich wesentliches Verständnis von Bild: Bild ist ein Prozess, eine Geschichte von, aus und mit dem Leben; mit meinem Erleben.
Dann ist Bild auch das, was sich verändert, sich wandelt, sich entwickelt und worin ich mich so entfalten und ergehen kann. Alles Leben, die ganze Schöpfung ist Bild. Aber wo bleibt sie, wenn wir sie nicht betrachten, nicht anschauen? Wer, und wie, sind wir, wenn uns niemand ansieht, hört und fühlt? Wer bin ich, wenn mich keiner wahrnimmt? Wenn keiner mit mir redet und mit mir schweigt? Was ist ein Bild von Rembrandt oder van Gogh, wenn es im Banktresor eingeschlossen ist - oder auch "nur" auf einem Speicher steht? Es ist nicht. Niemand erlebt es, niemand liebt oder hasst es, mag es oder lehnt es ab. Es ist tot. Aber irgendeiner wähnt es zu besitzen.
Wenn die Bibel im Alten Testament in der Genesis, in der Entstehungsgeschichte davon spricht, dass Gott den Menschen schuf nach seinem Bild, so verstehe ich das auch als Spiegelbild. Anders gesagt: als Dialog. Dem entspricht gleichnishaft: Er erschuf ihn als einen Mann und eine Frau. Also wieder ein Dialog. Das Gespräch zwischen Gott und Mensch ist ein Prozess, die Weggeschichte und Entfaltung von Frau und Mann, von Menschen, mit Menschen.
Genesis ist immer. - Auch heute. Genesen heißt nicht, wie wir heute oft meinen, "gesund gleich leistungsfähig" werden. Genesen hat vielmehr ursprünglich die Bedeutung von "am Leben bleiben", lebendig sein. "Eines Kindes genesen" ist die alte Redewendung für gebären; also Leben hervorbringen.
Es bedarf demnach der Bildkraft, der Phantasie, um Leben hervorzubringen und zu begreifen. Als Bildner darf ich hier vielleicht sagen: "Gott", das ist auch ein personales Bild für die unendliche, unerschöpfliche Phantasie. Leben entwerfende, Leben erhaltende, Leben entfaltende, Leben potenzierende Liebe. Was ist Liebe ohne Phantasie?
Bild, das ist auch Anruf, gleichzeitig - mehrfach, vielschichtig, möglichst offen und verborgen zugleich.
Bei Matthäus steht, dass wir das Kraut mit dem Unkraut wachsen lassen und erst bei der Ernte voneinander trennen sollen. So muss - um auch hier im Bild zu bleiben - das Leben als Prozess angenommen werden: in gut und ungut, gesund und ungesund, gehorsam und ungehorsam, damit wir unsteril leben und aus unseren Gewöhnungen ausbrechen können. Denn darin besteht die Chance, allen Verengungen zu entrinnen und irgendwann, irgendwo einmal, ein wenig aufzuleuchten. Erst am Ende, im Tod scheiden sich Licht vom Schatten, Spreu vom Weizen, wird das Bild vollendet.
So ist Bild-Kunst das, was Zukunft anbietet und erwirbt. Kunst ist ganz Gegenwart, Augenblick - je umfassender, umso mehr. Kunst, das ist die Kunst zu leben im Angebot des anderen für das Angebot an den anderen. Kunst ist deshalb nicht einfach nur schön im Sinne von ästhetischem Genuss - sondern gut im Sinne konstruktiver Lebensqualität. Sie muss auch wahrnehmen, was wir hässlich nennen und darf das Unfassliche nicht leugnen. Sie kann nicht jenseits von Gut und Böse, von Tod und Krankheit 'schön' sein. Das Leben selbst, das ist in all seinem Gelingen und Misslingen die Sache, in der sich dramatische und völlig undramatische Verdichtungen ergeben. Also ist Dichtung, Bildkunst, Komposition, Musik, Choreographie, Tanz - Selbstvergessenheit in phantasievoller, redlicher Arbeit. In Fleiß und Selbsthingabe eine hohe Summe von Leben.
(Roland Peter Litzenburger, Rede zum Abschied von Pastor Heinrich Albertz, Berlin-Schlachtensee 25. März 1979)
Längst bevor der Mensch ein Wort sagte, war er im Bilde. Er sprach in Zeichen und Bildern, durch Mimik, Geste und Tanz. Er war in seiner ganzen Leiblichkeit bewegte Gebärde. Martin Buber sagt: Gott hat ihn erschaffen in seinem Bilde.
Der Laut aus ihm war seine Stimme, seine personale Farbe, sein ihm eigener Klang, sein Timbre. Es ist der Ton, der noch immer die Musik macht, der die Ein-stimmung oder Miss-stimmung hörbar macht. Das Wort wird aus dem Ton, durch den Ton, durch die Stimme, in der Stimme: Fleisch.
Bilder sind Larven, Verpuppungen. Sie können sich also "entpuppen", aus den Larven schlüpfen, hinter den Masken hervortreten, sich verwandeln. Bilder kommen zu sich selbst durch den Prozess in ihrem Betrachter.
Betrachten Sie Bilder?
Heutzutage "meditieren" wir. Aber betrachten? Wer bedenkt schon, was das meint? Wenn im Brauchtum davon gesprochen wird, dass man eine "Tracht" tragen soll, wer denkt da an eine "Tracht Prügel"? Aber diese Redensart kann man heute noch hören. Wonach also trachten wir, wenn wir be-trachten? Wie be-tragen wir uns dann? Werden wir dann "trächtig"? Das heißt doch, dass wir dann empfangen, um eine Last heranreifen zu lassen in uns, mit der wir uns befrachten. Die trächtige Eselin trägt, erwartet ein Eselkind. Das braucht seine Zeit und vor allem: es muss unter Schmerzen und Todesangst geboren werden, zur rechten Zeit, damit es lebensfähig wird.
Trachten Sie also danach, wenn Sie ein Bild anschauend betrachten, dass sie tragfähig sind und trächtig werden. Hin-sehen, hinein-sehen, erkennen, kennenlernen, schauen und sich anschauen lassen: das führt in das Betrachten und möglicherweise zum Trächtig-werden durch ein Bild.
(Roland Peter Litzenburger, Rede zur Ausstellungseröffnung in Trier am 32. August 1981)
Bildnis ist vielfältig, vor allem offen für Künftiges. Es ist frei für den Entwurf im Bild seines Schöpfers, offen in den Prozess seines Lebens. Es ist nicht festgelegt in der Ansicht eines Betrachters - ob in guter oder schlechter Meinung. Das Bildnis ist Spiegel der persönlichen Eigenart, Ausdruck individuellen Vermögens oder Unvermögens. Ein Bildnis ist Augenblick im Fluss der Zeit.
Wenn ich ein Bildnis zeichne, stehe ich vor der Frage, will ich mit meinem Modell ein Portrait machen oder mit meinem Bildnispartner beschreiben, was mir im Gespräch, im Anschauen meines Gegenüber geschieht, was ich erlebe. Ist es ein Mensch, der sich die entstandene Zeichnung ansehen wird, vielleicht mit der Reaktion aus seiner Erwartung, wie: "Das soll ich sein?" Oder ist er offen für das, was zwischen ihm und mir geschehn sein wird? Wie ich es darzustellen versuchte?
Wie oft habe ich erfahren, dass ich mit dem Bild, das ich mir vom anderen gemacht hatte, nichts mehr anzufangen wusste. Es ist wie mit einem Erinnerungsbild, mit dem ich zurückkehre zum Ort der Erinnerung und nicht mehr vorfinde, was und vor allem wie es einmal war.
Es braucht schon eine erhebliche innere Verhärtung, wenn ich nicht sehen, spüren und hören will, dass im Fluss der Zeit all unser Zugreifen und Besitzenwollen in das rechte Verhältnis kommen. Definition und Begriff werden in ihrer Anmaßung aufgedeckt. Radikaler Widersacher der warmen Lebendigkeit, der Erfahrung und des Erlebens ist die kalte Todesstarre der Fanatismen, Rassismen, Chauvinismen, ist der Hass. So liefern wir uns gegenseitig an den Galgen, an das Kreuz. Bildnis des Lebendigen, Bildnis allen Lebens und aller Dinge schenkt nur das Erleben und die darin gewachsene Erfahrung.
So ist die Welt und Gott, ich und Du, allein dem offenen, dem vertrauenden Gehen in's Künftige zugänglich. Das was ist, erfahren wir durch und in der Geschichte.
Ich male und zeichne, um zu leben, nicht für irgendeine Art von Rechtgläubigkeit oder Ideologie. Das Leben existiert aus der Situation und aus dem Augenblick. Es ist von einem Moment in den anderen veränderlich, sterblich. Diese Wirklichkeit kann ich nicht leugnen. ich kann also nicht hingehen und einen Menschen zeichnen wollen, wie wenn er dem Chronos nicht unterworfen wäre. Ein Bild anschauen und es für alle Zeit gültig halten bedeutet, dass ich es nicht mehr erleben kann. Es ist dann end-gültig. ....
Sich ein Bild von einem anderen machen, ihn festlegen, heißt, dem anderen das Leben, die Zukunft nehmen.
Der Mord fängt genau dort an, wo ich den anderen beim Wort nehme und ihm keine Chance mehr lasse, sich zu korrigieren. Warum glaube ich ihm nicht, wenn er sagt, "so habe ich das nicht gemeint". Warum korrigiere ich mich nicht selbst? Warum fasse ich den anderen bei seiner Nase? Wieso ist sie eine jüdische, eine arabische, eine deutsche oder eine russische Nase? Oder wie vor 1000 Jahren eine "germanische" Nase? Was ist dann der Mensch?
Das Schreckliche, das sich durch mein ganzes Leben wie ein blutroter Faden hindurchzieht, ist, dass wir Menschen nicht verstehen. Das wir all das, was wir versuchen uns vorzustellen, fixieren. Dass wir meinen zu wissen, wer der andere ist, um dann sagen zu können: "Den kenne ich". Damit schlagen wir den anderen tot. So nehmen wir zugleich Gott das Leben, wenn wir uns ein Bild von ihm machen.
(Roland Peter Litzenburger, Du sollst dir kein Bildnis machen. Aufzeichnung vom 19. Januar 1986)