BRUDER NIKODEM RÖÖSLI
Stille und Abgeschiedenheit - Leben in einer Einsiedelei
Kapuziner Nikodem Röösli lebt seit Ende Dezember 2002 in der Einsiedelei Tschütschi oberhalb von Rickenbach, Kanton Schwyz. Diese ist als Ort der Stille und des Gebets ein Wallfahrtsort mit Kreuzweg und Kapelle. Bruder Nikodem, wie er sich nennt, wirkte unter anderem jahrelang als Arbeiterseelsorger in verschiedenen Orten der Schweiz.
Die Fragen an ihn stellte Günter W. Remmert.
Lieber Nikodem, weshalb hast Du das Einsiedlerleben gewählt?
Das ist eine Berufung. Es ist eine stille Sehnsucht in mir. Ich staune selber über meine klare Bereitschaft. Denn von mir aus würde ich weder wünschen, suchen oder entscheiden, Einsiedler zu werden – ich bin zu bequem dazu. Die Neigung zum beschaulichen Leben war jedoch von früher Jugend an da. Sie zeigte sich etwa als Wunsch, Kartäuser-Mönch zu werden und tauchte immer wieder deutlich auf als Zug zum Einsiedler in religiösen Intensivzeiten wie Exerzitien und Weiterbildung.
In einem Testjahr für das Einsiedlerleben, das ich im Oktober abgeschlossen habe und das Halb-Eremitentum, Wander-Eremitentum und schließlich ganz abgeschiedenes Eremitentum in der französischen Provence umfasste, blieb dieser Wunsch ebenso klar. Motiviert haben mich auch die Beispiele von Franziskus mit seinen konsequenten Rückzugseiten, die ersten Kapuziner mit ihrer Betonung von Armut und Kontemplation, der seit 36 Jahren stark zurückgezogen lebende Westschweizer Kapuziner Paul de la Croix und natürlich auch Bruder Klaus.
Seit über 30 Jahren wissen meine Ordensobern um meine Neigung zum Einsiedler. Immer habe ich innerlich eingewilligt, vergleichbar dem Gehorsam für meine Aufgaben als Arbeiterseelsorger oder als Hausseelsorger im Bildungszentrum Mattli. Nach der Beendung meiner Aufgaben und des Probejahres fällt es mir nun leicht, in den positiven Entscheid meiner Oberen einzuwilligen.
Was fasziniert Dich an der Einsiedelei Tschütschi?
Ich war bereit, den Entscheid meiner Oberen für jegliche Form von Einsiedelei anzunehmen. Er fiel auf das Tschütschi, also nicht auf einen Ort im Ausland, nicht auf eine Form von Halb-Eremitentum und nicht auf extreme Abgeschiedenheit, sondern auf eine Waldlichtung in meiner engeren Heimat mit Haus und Kapelle, wo ich nicht mit Schlafsack und Feldküche leben muss, sondern Dach, Bett, Strom und Wasserquelle habe, und wo ich gegen Kälte von unten und gegen Durchzug geschützt bin.
Welche Deiner Fähigkeiten und Gaben kannst Du an diesem Ort nutzen?
Gesundheit, gute Konstitution und Leichtigkeit, mich diesem Breitengrad, dieser Meereshöhe, diesem Klima und diesem Wetter anzupassen, denn da bin ich aufgewachsen. Ich bringe die Gabe mit, durch den Kontakt mit Leuten nicht aus der Ruhe geworfen zu werden, und im Kontrast dazu die starke Neigung zum Rückzug. Beides wird mir helfen, wenn ich der Begegnung und dem Alleinsein den richtigen Raum gebe.
Essen, schlafen und Feuer machen müsse der Eremit können, hat ein früherer Abt des Benediktinerklosters Camaldoli in der Toskana gesagt. Mit dem Komfort der erneuerten Küche und den vielen Erleichterungen für Kleinhaushalte werde ich für meinen gesunden Appetit eine ausgewogene Ernährung bereiten können – selbst wenn das Kochen nicht zu meinen Stärken gehört... Für einen gesunden und tiefen Schlaf hoffe ich, mit Gott, Welt und Menschen versöhnt leben zu können in gutem Gewissen, so dass Anfechtungen und Ängste nichts ausrichten. Und Feuer machen bedeutet für mich: Freude an der Holzfeuerung im isolierten Haus und Ausdruck guten Umgangs mit Energie.
Gibt es für Dich besondere spirituelle Erfahrungen, die Dich zu diesem Leben führen?
Einmal die franziskanische Armut: Nichts aneignen von dem, was ich habe und bin und worin ich lebe, dies versuche ich. Denn nichts ist aus mir selber, und ich gebe es Gott zurück. Dann die Demut: Ich stehe zu meinem Nichts und zu meiner Schuld, aber auch zu meinen Gaben. Das gibt mit einen guten Stand und hilft mir, sanft einzuwilligen in den Willen Gottes. Weiter ist es das Beten mit reinem Herzen: Ich möchte mich in nichts verhängen und so in Gottes Barmherzigkeit "schwimmen". Und zuletzt will ich die äußere Abgeschiedenheit und Stille schützen, damit das innere Schweigen wachsen kann.
Sollen man sich Bruder Nikodem gleichsam als zweiten Bruder Klaus vorstellen?
Nein, Bruder Klaus ist unvergleichlich! Aber es gibt einige Berührungspunkte: Wie Bruder Klaus von Frau und Kindern die Zustimmung für sein Einsiedlerdasein erhielt, so bekam ich sie von den Oberen und Brüdern meines Ordens. Und so, wie Bruder Klaus in naher Distanz zu seiner Frau als Verheirateter weiterlebte, so hoffe ich in naher Distanz zu meiner Ordensfamilie zu bleiben. Wie Bruder Klaus Gott dankte, dass er nicht mehr essen und trinken musste, so bin ich dafür dankbar, dass mein Organismus Fasten als heilsam erfährt und auch längere Zeiten, etwa ein vierzig-tägiges Fasten, gerne mitmacht. Wie Bruder Klaus „Friede aus Gott“ zum Gruß wurde, so wird mir das franziskanische „Pax et Bonum - Friede und alles Gute“ zum Segen.
Wie gestaltest Du Deinen Alltag?
Schlafen und Wachen im Rhythmus des werdenden und vergehenden Tageslichtes. Bewegen zu Fuß und mit den Skiern und in der Gartenarbeit und im Körpergebet. Eingebettet in das Stundengebet: Meditation, Frühlob, Frühstück, geistliche Lesung, Arbeit, Mittagsgebet, Mittagessen, Ruhe, Arbeit und Begegnungen, Eucharistiefeier, Abendlob, Körpergebet, Abendessen, Schreiben, Meditation, Nachtgebet, Nachtruhe. Einmal wöchentlich lade ich zur Eucharistiefeier ein.
Zu meinem Wirken gehört weiterhin die geistliche Begleitung von franziskanisch besinnlichen Wüstenreisen im Frühling und Herbst – die zweimal 14 Tage in diesem und im nächsten Jahr sind schon fixiert – sowie das Ikonenmalen im Flüeli-Ranft. Das sind Möglichkeiten kontemplativer Vertiefung und, wenn es gut geht, Beiträge an meinen Lebensunterhalt, für den ich teilweise selber aufzukommen habe.
Was hättest Du gerne, das andere über Dich sagen?
Es ist ihm ernst. - Man kann mit ihm reden.
6 Jahre spÄter
Testjahr
Einen großen Teil der Prüfungszeit erlebe ich abgeschieden, gar abgeschnitten, mit minimem Lebensstandard, allein in Fasten (40 Tage) und Schweigen in einer Waldlichtung in Eygalières in der südlichen Provence. Die Frucht dieser Zeit, wie auch eines kurzen Aufenthaltes in der Einsiedlergemeinschaft in Camaldoli, Italien, und des zweimonatigen Fußmarsches durch die Pyrenäen bis Lourdes, ist ein substantielles Schweigen.
6 Jahre TschÜtschi
1. Jahr der Medien
Der Stiftungsrat der Klösterlistiftung, zu welcher das Tschütschi gehört, hat durch Radio, Presse und Fernsehen um einen Waldbruder in der 800-jährigen Tradition der Einsiedelei geworben. Nun wollen die Medien - von Lokalzeitung bis Radio Vatikan - den Neuen sehen. Die nicht angestrebte Präsenz in 23 Medien benütze ich, um Form und Sinn meines Einsiedlerlebens zu erklären. Ich kann zum Beispiel mitteilen, dass ich mich am Vormittag zurückziehe, und am Nachmittag auf durch Mail, Brief oder Telefon angemeldete Begegnungen gerne eingehe.
Mit den Medienleuten mache ich durchwegs gute Erfahrungen - vom Pfarrblatt bis zur Samstags - Rundschau - . Nach diesem Jahr mache ich Medienstop.
2. Zu viel geholzt
Bei einem großen Sanierungs-Holzschlag bleibt viel Kleinholz liegen. Beim Hinunterwerfen vom Hang breche ich den Arm, und bekomme so noch mehr Hilfe beim Aufarbeiten. In dieser Zeit bekommt die Regel „7 Stunden beten, 7 Stunden arbeiten, 7 Stunden schlafen“ ein Übergewicht auf die Arbeit. Deutlicher als im Testjahr und in den Jahren der Arbeiterseelsorge wird mir, dass Arbeiten Beten sein kann. Mit dem guten Gewissen und der gesunden Müdigkeit finde ich auch immer den gesunden tiefen Schlaf.
3. Beten
Die Formen gemeinschaftlichen Gebetes treten ganz zurück. Es bleiben die Gottesdienste bei den Pfarreiaushilfen (im Monat ein bis zwei mal) und die Eucharistiefeier am Mittwoch mit den Leuten aus der Umgebung, sowie der gemeinschaftliche Rosenkranz an den sonntäglichen Maiandachten. Die Feier der Eucharistie allein im Haus ist in der Form sehr angepasst. Sonst bleiben noch stumme Gebetshaltungen (die große Gebetsgebärde von Franz Xaver Jans) aus der christlichen Tradition dem Hatha-Yoga nachempfunden für leibhaftiges Beten, und die einfache Form des Herzensgebetes. Ich finde die Formel „Ich muss nichts ... nur dranbleiben“. Das heißt etwa: Die fraglos gewordene Berufung zum Einsiedlerleben macht mich frei und heiter, ich muss nicht leisten und gefallen und gut sein ... ich muss nur dranbleiben, dieser liebenden Gabe zu entsprechen und mich hinzugeben, also in der Liebe bleiben und wachsen.
4. Wüste
Es fällt der Entscheid, dass ich nach 12 Malen noch fünf Mal mit einer Gruppe nach Südmarokko in die Wüste fahre, um dann 2-3 Mal 14 Tage im Jahr länger im Tschütschi zu sein. Die Wüste ist wie Einsiedelei Abgeschiedenheit in Ruhe, Stille und Schweigen, Betrachten in der Schönheit karg-reicher Natur, Beten. Für mich ist es auch Meditieren im Sitzen beim Kamelreiten, leibhaftes Beten in der großen Gebärde während sich die islamischen Begleiter Richtung Mekka stellen, verneigen, hinknien, hinwerfen. Wir vertiefen unsere Wüstenerfahrung mit dem Sonnengesang von Franziskus. In diesem Lied ruft er alle Geschöpfe geschwisterlich auf, Lobpreis Gottes zu sein. Mir wird tiefer klar, wie Gott Milliarden Menschen durch den Islam zum Heil führt, und wie Gestirne und Elemente, Liebe, Geduld, Ausharren und Friede, sowie der Tod, Medien zu Gott sind. Nach Abschluss der Reisen bleibt mir ein Drittel weniger Büro.
5. Fürbitte
Täglich 30 - 300 Menschen bringen ihre Sorgen und Nöte ins Tschütschi zu den 14 Nothelfern, diesen Gestalten und Zeugen des Glaubens, die helfen, das Leben über geschlossene Systeme hinaus auf Gott hin offen zu sehen: im Anfang (Schöpfer), in der Vollendung, und auf Heilung auf dem Weg dazwischen. Ich weine, wenn ich über verdunstenden Glauben reden höre, seit ich deutlicher sehe, was Gott in so vielen wirkt. Ich formuliere für mich: Ich bin nichts aus mir selber. Also bringe ich jeden Abend dankbar den Tag zurück mit dem, was ich bin - aus Gott gar viel - , geworden und nicht geworden bin, und was Menschen mich in die Kapelle zu bringen gebeten haben. Noch mehr fühle ich mich Menschen verbunden (all-ein), und ich bin daran, mein armes Herz dem größeren Herzen Gottes einzubetten, damit es immer weiter reicht.
6. Krankheit
Ich gehe mit meinem Prostatakrebs den schulmedizinischen Weg mit Operation. Die jetzigen Blutwerte sind so, dass keine Ableger zu fürchten sind. Ich muss in der Zeit von Spital und Pflegestation der Kapuziner fast alle Tätigkeiten absagen. Für größere Klarheit besuche ich den Kurs „Zeitmanagement mit Herz“. Ich lerne: Der Priorität Einsiedlerleben entlang müssen sich die anderen Dinge einfügen. Wenn ich schleppende Rekonvaleszenz und Alter mitbedenke, sind meine Kurse auf fast nichts zu reduzieren. Meine Kurse sind Tätigkeiten, die ich ausübe, um die Auflage meiner Oberen zu erfüllen, den Lebensunterhalt selber zu verdienen: Wüstenreise, Ikonenschreiben, Fasten, Sakraltanz, Bildungsanlässe. Ich tue es. Und ein stiller Friede hilft mir lassen.