TUSCHE-ZEICHNUNGEN
VON Karlfried Graf DÜrckheim
Karlfried Graf Dürckheim
* 24. Oktober 1896
in München
+ 28. Dezember 1988
in Todtmoos-Rütte
Karlfried Graf Dürckheim, Zen-Menschen, Zen-Räume
Zen-Menschen,
Zen-Räume,
Zen-Dinge
sind in eigentümlicher Weise da,
so als seien sie eigentlich nicht da.
Und gerade deswegen
sind sie in besonderer Weise da, geladen von Stille,
prall von Leben,
als könnten sie in jedem Augenblick mit einem Knall zerspringen
oder aber plötzlich lautlos verschwinden.
Nur im Medium inständlichen Bewußtseins jedoch wird solches erfahren.
Karlfried Graf Dürckheim, Stille in der Natur
Natur, wo sie ganz bei sich selber ist, hat Stille um sich.
So ein Baum, einfach, wie er da steht und gar nichts anderes will.
Oder ein Reh, das äst, ganz versunken in seiner Weise, Nahrung aufzunehmen.
Oder ein Kind, das mit ungeheurem Ernst seinem Spiel hingegeben ist, ganz dann verwoben - da ist diese Stille, Leben bei sich selbst.
Karlfried Graf Dürckheim, Sumi-e*
Auf einem dürren Ast sitzt ein Vogel, ragend in das Leere.
Die Form von Vogel und Ast bestimmt die Form der Leere, die Gegenform.
Von ihrer Gestalt kommt das Leben,
das Vogel und Ast, die in das Leere ragen, nun haben.
Immerzu bestimmt die Form, die wir sind, die Gegenform,
die uns umgibt, und diese wiederum gibt unserer Form ihr Leben.
Wir sind mit unserer Form verantwortlich für die Gegenform und den Einklang oder Mißklang, den sie mit uns hat.
Von unserer Weise, da zu sein, hängt die Weise ab, in der aus allem, was uns umgibt, das Weiselose in unser Innesein tritt oder, weil ein ihm entgegengesetztes Bewußtsein es sucht, im Verborgenen bleibt.
* (Sumi-e: Schwarz-Weiß-Bild aus der Welt des Zen)
Die ausgestellten Tuschezeichnungen wurden uns freundlicherweise von Cornelia Kleijn-Stangier, Köln, zur Verfügung gestellt.
REDE ZUR AUSSTELLUNGSERÖFFNUNG von Gabriele Sigel, München
Liebe Freunde und Gäste der SCHMIEDE,
liebe Anwesende der Tanzgruppe und des Vereins,
liebe Frau Kleijn-Stangier,
im Namen des Vereins zur Förderung persönlichen Wachstums darf ich sie alle recht herzlich zur vierten vom Verein getragenen Ausstellung begrüßen. Besonders möchte ich Frau Kleijn-Stangier danken, die uns die Tuschezeichnungen Karlfried Graf Dürckheims zur Verfügung stellte. Es ist uns eine besondere Ehre, dass wir die Bilder im Seminarhaus SCHMIEDE erstmals öffentlich zeigen dürfen - ist doch die Arbeit hier wesentlich von den Ansätzen der Initiatischen Therapie von Karlfried Graf Dürckheim und Maria Hippius - Gräfin Dürckheim mitgeprägt worden.
Ohne im einzelnen auf den Lebensweg Karlfried Graf Dürckheims einzugehen, möchte ich für unseren Zusammenhang heute betonen, wie wichtig die beiden Japanaufenthalte 1938 und 1940-46 für Dürckheim waren. Sie wurden für ihn zum entscheidenden Erlebnis und er beschäftigte sich intensiv mit den ZEN-Buddhismus und seinen Schulungswegen. Dazu zählt auch die Tuschemalerei.
Im ZEN kann existentielle Wirklichkeit ihren Ausdruck finden in einem einzigen Wort nach langer, schweigender Meditation. Bei der Tuschezeichnung geschieht das durch wenige kühne Pinselstriche auf einem weißen Blatt Papier.
Wenn Sie Bambus malen, sitzen Sie in aufrechter Haltung. Sie konzentrieren sich auf die Leere des Papierbogens, der vor Ihnen liegt. Nach und nach schweigen die Gedanken, die sonst Ihren Geist beschäftigen. Vor Ihrem geistigen Auge erscheint ein Bambusstamm. Sie sehen seine Zweige. Sie hören das Geräusch der zarten dünnen Blätter, die der Wind bewegt. Ihre Hand nimmt den Pinsel auf, und Sie folgen in einer natürlichen Bewegung dem inneren Bild. Der Bambus Ihrer Vorstellung nimmt auf dem Papier Gestalt an. Jeder Strich steht im Zusammenhang mit den anderen und mit dem Ganzen und jeder Strich ist wichtig. Deshalb fließt in jeden Strich alle Aufmerksamkeit, die ganze Energie und Seele mit ein. Die Körperbewegung führt den Pinsel, schiebt ihn, drückt ihn aus der Körpermitte heraus und läßt ihn im Raum ausklingen. Die Zeichnung muß einem lebendigen Wesen gleichen. Sie muß die Kraft haben, die Herzen der Menschen unmittelbar anzurühren.
So ist die Tuschemalerei also eine Übung, die mit äußerster Konzentration und Einfachheit ausgeführt wird. Das Weglassen aller überflüssigen Einzelheiten führt zur Verbindung mit dem inneren Wesen der Natur. Für sie gilt das gleiche wie für die anderen Übungswege und ich zitiere nach Günter W. Remmerts Schrift "Karlfried Graf Dürckheim. Sein Beitrag zur Spiritualität":
"Durch die ständige Wiederholung der Übung geschieht eine Automatisierung des Ablaufs. Die Übung wird zunehmend müheloser, geht wie von selbst und wirkt nach innen. Nicht die vorzeigbare, äußere Leistung ist ihr Sinn, sondern die Verwandlung des ganzen Menschen, in der Entdeckung des Wesens. Es sind Übungen zur Ganzheit."
In der von ZEN beeinflußten Tuschmalerei wird nur die schwarze Tusche verwendet. Die verschiedenen Tonabstufungen, die sich mit der Tusche erreichen lassen, stellen die Wahrnehmung der Farbe durch Kontrast mit der weißen Fläche her. Sie gelten zugleich als unmittelbarer Ausdruck des Gefühls. Auch die weißen Flächen werden Leben bekommen und Tiefen bilden, wenn ich selbst mit dem Gegenstand und der Technik verschmelze und eine Form schaffe. Der "weiße Raum" im Bild hat seine unmittelbare Entsprechung im Taoismus und im ZEN-Buddhismus: die Vorstellung des Einmündens und Aufgehens des Realen in das "Nichts" und die Existenz der "Leere" ist hier von zentraler Bedeutung.
Nun noch etwas zum Bambus. Von den bevorzugten Pflanzenmotiven ostasiatischer Bilder gehört der Bambus als erstes genannt. Bambus ist eine der außergewöhnlichsten Pflanzen unserer Erde. Es ist ein Riesengras, das höher werden kann als viele unserer heimischen Laubbäume. Wegen seiner erstaunlichen Lebenskraft, seiner Vielgestaltigkeit und hinreißenden Schönheit hat er eine wichtige Rolle in der kulturellen Entwicklung des Menschen gespielt, mehr als irgendeine andere Pflanze der Erde. Der Bambus, der auch mit einfachen Werkzeugen bearbeitet werden kann, ist so eng mit der geistigen und materiellen Kultur Asiens verknüpft, dass er aus dem Leben der fernöstlichen Völker nicht wegzudenken ist. Nicht nur die Schönheit seines Laubes, auch seine charakteristische Fähigkeit zum Nachgeben und dennoch Festbleiben, zum Zurückweichen und doch Platz behaupten, haben den Bambus zu einem beliebten Sujet der Dichter und Maler in China und Japan gemacht. Dem Schönheitssinn der Japaner galt der Bambus als Sinnbild sanfter Melancholie. Viele Legenden ranken sich um den Bambus. Die Chinesen meinen auch: "Der Bambus lacht". Die chinesische Schrift benützt das Zeichen "Bambus" als Teil des Schriftzeichens für "Lachen".
Bambus wächst schneller als jede andere Pflanze auf unserer Erde. Manche Arten können innerhalb von 24 Stunden um einen Meter höher werden. Es gibt auch keine andere Pflanze, die dem Menschen auf so verschiedene Weise nützlich ist: Hütten, Türme, Brücken, Gerüste, Möbel, Körbe, Zäune, Nahrung u.a. Bambus kann in mancher Hinsicht Stahl übertreffen. Wussten Sie, daß der Glühfaden der ersten, von Edison hergestellten Glühbirne aus Bambus bestand? Die Vitalität des Bambus wird ergänzt von seiner Fähigkeit, sich neuen Lebensbedingungen anzupassen. Er nimmt extreme Trockenheit sowie Feuchtigkeit hin. Es gibt mehr als tausend Arten und Sorten von Bambus, die auf allen Kontinenten der Erde wachsen. Sein Stamm wächst von Anfang an in seiner endgültigen Dicke aus der Erde. Die Bambusrohre können grün, gelblich, braun bis schwarz, einfarbig, gescheckt, getigert oder gestreift sein.
Niemand freut sich, wenn der Bambus blüht, denn mit der Blüte kommt der Tod. Nach der Blüte sterben die meisten Blätter ab. Die Blühintervalle sind sehr unterschiedlich. Sie variieren zwischen 20 und 100 Jahren. Was nun eigentlich die Blüte auflöst, bleibt bis zum heutigen Tag ein Geheimnis der Natur. Experten haben allerlei Theorien aufgestellt. Klar ist jedoch, daß das Blühen bestimmter Arten an verschiedenen Plätzen unserer Welt zur selben Zeit erfolgt, weil es genetisch programmiert ist.
Im Laufe der Beschäftigung mit dem Bambus hat dieser mich immer mehr fasziniert und in Erstaunen versetzt, so daß ich gar nicht aufhören kann, darüber zu erzählen. Da fand ich folgende Passage:
"Bambus wird oft mit dem Leben verglichen. Ein Wachstumssegment hat immer Anfang und Ende, wie Begegnung und Abschied im Leben. Auf einem Knoten setzt sich das Leben fort. In der japanischen Sprache wird das Wort "Knoten" mit den Schriftzeichen für "Maßhalten" geschrieben. Wenn man nicht aufhören kann, erschwert man sein Leben."
Karlfried Graf Dürckheim, Gehen ohne Wohin
Wenn wir gehen, gehen wir wohl immer irgendwo hin.
Daß es aber auch ein Gehen ohne Wohin gibt, haben wir meist vergessen.
Doch nur, wo im Wohin auch das Nicht-Wohin ist, können wir im Gehen den goldenen Faden halten, der uns mit dem Wesen verbindet. Immer sind wir dabei, etwas zu tun. Bisweilen tun wir auch nichts.
Doch nur, wo im Tun wie im Nichtstun Nicht-Tun (Wu-Wei) ist, sind wir dem Wesen verbunden.
Karlfried Graf Dürckheim, Das "Mu" aus der Stille
Wo aus der Stille des Seins das "Mu" aufklingt, kommen alle Töne des Daseins zum Schweigen. Die gewohnten Farben und Lichter des Lebens verlöschen. Es ist, als zöge das gegenständliche Bewußtsein seine Antennen ein, und nichts mehr würde empfangen. Doch dann steht schlagartig alles in einem neuen Licht. Eine Welt neuer Lichter, Farben und Töne geht inständlich auf. Ein neues Bewußtsein beschenkt den Menschen mit einem Reichtum völlig anderer Qualitäten, wie sie niemals vorher erfahren wurden. Was nun wahrgenommen wird - wenn es wirklich wahr-genommen wird - hat einen völlig anderen Klang, verglichen mit dem, was das gewöhnliche Bewußtsein vernimmt, eine andere Höhe, Weite und Tiefe. Es gehört einer anderen Dimension an. Je mehr es den Menschen ergreift und er es in sich zu wahren vermag, desto mehr leuchtet es ihm doch wieder aus allen Dingen entgegen. Aber glaubt er zunächst, die gewöhnliche Welt stünde dem, was er nunmehr erfährt, hindernd im Weg, so kann er dann erfahren, daß diese gewöhnliche, alltägliche Welt gar nichts anderes ist, sich nur in einem anderen Bewußtsein spiegelt. Am Menschen liegt es und an seiner Stufe, ob sich in den Gestalten des Daseins das Sein nur verbirgt oder aber ihm in allem erscheint.