STÜHLE UND STILLE
FOTOAUSSTELLUNG VON OTTO PFAFF
Rede zur Eröffnung am 8. September 1998 von Annette Remmert
Lieber Otto, liebe Freunde und Gäste der SCHMIEDE,
unser Haus verändert sich mit jeder Ausstellung und sieht auch jetzt mit diesen erst seit einigen Tagen hängenden Foto-Ansichten ganz neu aus. Wenn wir hier in der Diele stehen, so sehen wir links und rechts Fotos zum Thema "Stuhl". Unten in der Schmiede-Küche haben Sie sicherlich schon einen Blick auf die fotografierte Stuhl-Reihe geworfen.
Wenn Sie dann weiter in den Arbeitsraum meines Mannes gehen, erleben Sie Stühle mit Menschen oder auch: Menschen mit Stühlen. Dort hat Otto Pfaff einer Idee Gestalt gegeben: alle Akteure bekamen die gleichen Voraussetzungen, gleiches Licht und den gleichen Stuhl vor der gleichen Wand. Es ist, wie ich meine, gelungen, die Menschen mit dem Objekt Stuhl kreativ werden zu lassen.
Der Gruppenraum unten zeigt mit seinen Portraits Bilder von Freunden und Bekannten von Otto Pfaff. Sogar ein Selbstbildnis ist dabei. Bei der Herstellung führte der Fotograf Regie und realisierte seine spezielle Ansicht oder Sichtweise dieser Personen. Für ihn war es wichtig, die jeweilige Umgebung mit einzubeziehen. Dadurch wird im Bild etwas Besonderes von jeder Persönlichkeit sichtbar.
Etwas ganz anderes erleben Sie, wenn Sie den Meditationsraum betreten und die "Stillen Bilder" auf sich wirken lassen. Der Raum, geschmückt mit diesen ansprechenden, auch ästhetisch schönen Fotos, lädt zum Verweilen ein, zur Betrachtung. Nehmen Sie sich ruhig Zeit! Zu den "stillen Bildern" sagt Otto Pfaff:
"Hier komme ich wohl am meisten selbst vor, ohne daß dies zu Beginn beabsichtigt gewesen wäre. Es sind Einzelbilder, die spontan entstanden. Erst später bemerkte ich, daß ich von mir Seelenbilder gestaltet habe aus Abschnitten meiner Vergangenheit und daß ich Symbole gewählt habe, die Angst und Hoffnung sein können, so z.B. der Weg, dessen Ende im Ungewissen liegt, der abgeschnittene Schienenstrang, die Treppe, die die Möglichkeit des Hochsteigens, aber auch des Abstürzens beinhaltet oder die Tür als Möglichkeit des Heraustretens oder des Sich-Zurückziehens. Sind diese Symbole dann noch verbunden mit romanischen Kirchen, dann spricht auch meine zweifelnde christliche Seele mit."
Diese Fotoausstellung ist für mich ein Aha-Erlebnis, wie sehr eine "liebe Nebenbeschäftigung", so Otto wörtlich, schöpferisch werden kann. Vor mehr als 30 Jahren kaufte sich Otto Pfaff seinen 1. Fotoapparat, eine "Praktika" und beschäftigt sich seit 1970 mit der Schwarz-Weiß-Fotografie. Er selbst sagt:
"Bei meinem Fotografieren spielt der gezielte Einsatz des Lichtes eine wichtige Rolle, da insbesondere die Schwarz-Weiß-Fotografie vom Licht wesentliche gestalterische Impulse gewinnt. Die Redensart "Heute erscheint mir alles in einem anderen Licht" sagt ja aus, daß gestern dieselbe Situation ohne oder mit anderem Licht ganz anders wahrgenommen wurde. Durch Licht wird Unbedeutendes aus der Banalität herausgerissen, Strukturen werden plastisch hervorgehoben, Stimmungen werden erzeugt, besonders mit Gegenlicht. Werden wichtige Bildausschnitte entsprechend beleuchtet oder wird Licht zurückgenommen, oder vielleicht sogar ganz weggelassen, entstehen Schatten und dunkle Partien. Fotografie ist ein Spiel mit dem Licht." Soweit Otto selbst.
Ein schönes Beispiel für Beleuchtung und Wegnehmen von Licht ist das Plakatfoto. Sie sehen darauf einen sonnenbeschienenen, erhellten Ausschnitt einer romanischen Stein-Kirche in Südfrankreich. Sie werden eine Überraschung erleben, wenn Sie im Meditationsraum dasselbe Bild wiederfinden, nun aber in der Dunkelkammer überarbeitet. Mit diesem neu gestalteten Positiv von demselben Negativ ist sehr schön die spezielle schöpferische Arbeits- und Sichtweise von Otto Pfaff erfahrbar.
Als mich Otto bat, zu seinen Fotos ein paar "einführende Worte" zu sagen, habe ich mir das hier jetzt hängende Material einmal angeschaut und dabei wirkten die unterschiedlichsten Stuhl-Persönlichkeiten so einladend auf mich, daß ich mich entschied, mich ihnen anzunähern. Wie das dann so ist bei den Vorbereitungen: ich fand ein DU-Heft (April 1995) mit dem Titel "Tisch und Stuhl - Verweile doch". Auch besuchte ich zusammen mit Günter, meinem Mann, das Vitra Design Museum in Weil am Rhein. Das ist so etwas wie ein Stuhl-Museum. Man kann sich dort über Herstellung und Vielfalt der Stühle und Sitzgelegenheiten wunderbar informieren. Otto Pfaff ist auch dort gewesen. Auch hier hängen einige dort aufgenommene Bilder.
Jede Sitzgelegenheit wirkt wie eine Persönlichkeit. Als ich in dem Museum die vielen Stühle sah, kam mir der Gedanke: Welcher Stuhl paßt zu welchem Menschen? Man könnte doch daraus einen Psycho-Test daraus ableiten, oder nicht?
Machen wir uns einige Gedanken zum Stuhl. Ein Leben ohne Stühle, ist das für uns denkbar? Wir sind es sehr gewöhnt, auf Stühlen zu sitzen. Vielleicht vermissen Sie jetzt schon einen. Wie wohltuend ist diese Abwechslungsmöglichkeit: Stehen - gehen - sitzen. Früher saßen die Menschen nicht, sie lagerten. Das Sitzen war ein Privileg. Es gab den Thron für den Herrscher. Die gewöhnlichen Sterblichen hockten oder lagerten am Boden. Profane Stühle kannte man nicht.
Hugo Kükelhaus schreibt: "Ursprünglich war die sitzende Haltung nur den von der Gemeinschaft geweihten oder als geweiht erkannten Personen vorbehalten, den Königen, den Gottgezeichneten, den Priestern." Könige, Chefs, namhafte Leute werden oder lassen sich gerne sitzend darstellen. Der arme Teufel muß stehen.
Designer, Architekten, Schreiner, Kunsthandwerker entwerfen Stühle und stellen sie her. Einen wirklich originellen Stuhl zu entwerfen ist sicherlich schöpferisch und manchmal sogar genial. Doch ob wir gut darauf sitzen können, wirklich Platz nehmen und verweilen mögen, uns ausruhen, es uns bequem machen können, das ist nicht immer garantiert. Lädt ein Stuhl jedoch ein, ist er bequem, dann bleiben wir sicherlich auch länger sitzen.
Mich beschäftigt die Frage: Ist Sitzen eigentlich passiv? Und ich fand die Antwort: Sitzen gibt Ruhe! Wir können ja auch auf einem Stuhl meditieren. Solch ein Stuhl dient unserer Entlastung. Wir lehnen uns bequem an die Rückenlehne. Noch entspannter lassen wir unsere Arme auf den Armlehnen ausruhen. Doch manchmal setzen wir uns ganz angespannt nur vorne auf den Rand.
Wie froh sind wir, wenn wir uns nach langem Stehen oder laufen endlich auf einen Stuhl niederlassen können. Und wie sehr freue ich mich und entwickle dabei ein triumphales Gefühl, noch einen freien Stuhl zu haben!
Mit dem Sitzen bringen wir uns in eine Zwischenlage, nämlich zwischen Liegen und Stehen - und das tut uns wohl. Ohne Stuhl sitzen wir auf dem Boden, auf einem Stein, einem Baumstamm, einer Stufe, einem Kissen. Jeweils erfahren wir das Sitzen ganz anders.
Sie kennen das: Wir setzen uns vor Schreck, Müdigkeit oder Bequemlichkeit. Wir setzen uns, wenn wir warten, Zeit haben, uns entspannen wollen. Wir setzen uns an einen Tisch, an einen Schreibtisch, an die Arbeit, an eine Maschine, an den Computer, ins Auto ...
Während ich diese Gedanken aufschrieb, benutzte ich einen härteren Stuhl mit Kissen. Wenn ich mir Stühle vorstelle, sehe ich Plastikstühle, Holzstühle, gepolsterte, bestickte, schlichte, klassische, runde, eckige, Binsenstühle.
Wenn wir uns hier im Raum umsehen und die Fotos auf uns wirken lassen, fühlen wir uns auch von einigen Stühlen sofort eingeladen, uns doch hinzusetzen. Andere wollen nur beachtet und betrachtet werden. Solche "Persönlichkeiten" schaue ich mir gerne an und sie können mir einiges erzählen.
Die Arbeiten von Otto Pfaff zeigen besonders das Spiel mit Hell und Dunkel. Durch die Einwirkung von Licht und Schatten bekommen die Stühle eine ganz besondere, eigene Aussage und das Foto dadurch einen interessanten Charakter.
Da ist z.B. der schon etwas kaputte Stuhl mitten in der Natur. Setze ich mich darauf, ruhe aus und genieße die Sonnenstrahlen - welche Wohltat! So ein Stuhl ist ein angenehmer Überraschungsfund. War er auch für Dich, Otto, eine überraschende Entdeckung?
Schön, die hier zusammengestellten Sessel, die darauf warten, wieder an die Tische gerückt zu werden, damit sich Gäste darauf setzen können, um sich mit Getränken zu erfrischen und auch mit Gesprächen.
Sehen wir uns den Herzstuhl an. Ich kann mir ein ganz verliebtes fröhliches Mädchen im hellen, leichten Kleid und Sandaletten vorstellen. Ganz kurz nur läßt sie sich auf den Herzstuhl nieder, sammelt sich, ruht sich aus, um dann schnell wieder aufzuspringen zu ihrem Geliebten. So eine Stimmung ist für mich in diesem Bild eingefangen.
Dann gibt es das Foto mit den Stufen. Ist nicht jeder froh mit der Aussicht: wenn ich oben angekommen bin, kann ich mich auf dem Stuhl ausruhen?
Bei einigen fotografierten Stühlen fallen mir besonders die Rückenlehnen auf. Runde Wölbungen geben dem Rücken angenehmen Halt und Schutz.
Dort: Die Holzstühle wirken so warm.
Bei den Eisenstühlen sollte ein Kissen obligatorisch sein.
Sehen wir die gepolsterten Stühle, so ist es ein leichtes, sich entsprechend gekleidete Personen darauf vorzustellen. Oder auch, darin zu versinken.
Auf dem Foto vor dem Meditationsraum erinnern mich die Sitzgelegenheiten an sakrale Gegenstände wie Kelch und Schale. Licht und Schatten, Hell und Dunkel geben Schutz und lassen leuchten.
Die beiden Thonet-Stühle, stehen sie nicht da wie ein einladendes Paar?
Wenn Sie jetzt nach unten gehen, fällt Ihr Blick bei der fotografierten Stuhlreihe in der SCHMIEDE-Küche nicht auf einzelne Fotos, sondern auf eine ganze fotografisch erzählte Geschichte. Ist das aber nun eine Fotogeschichte, eine Stuhlgeschichte, eine Beziehungsgeschichte oder vielleicht sogar ein fotografiertes Märchen? Wir werden Gelegenheit haben, uns darüber auszutauschen.
Ich wünsche Ihnen viel Spaß beim Anschauen der "Stuhl-Persönlichkeiten" hier in der Diele und im Gang. Uns allen Bereicherung beim Anschauen dieser fotografischen Ansichten von Otto Pfaff hier in der Schmiede.